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GMS Zeitschrift für Hebammenwissenschaft

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi)

ISSN 2366-5076

Digitale Hebammenbetreuung in der Pandemie: Schnelle Umsetzung und gute Akzeptanz

Originalarbeit

  • corresponding author Dagmar Hertle - Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg), Wuppertal, Deutschland
  • Luisa Schumacher - Deutsches Krankenhausinstitut, Düsseldorf, Deutschland
  • Nikolaus Schmitt - Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg), Wuppertal, Deutschland
  • Danny Wende - Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg), Wuppertal, Deutschland
  • Nicola H. Bauer - Universität zu Köln, Köln, Deutschland

GMS Z Hebammenwiss 2023;10:Doc02

doi: 10.3205/zhwi000026, urn:nbn:de:0183-zhwi0000269

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zhwi/2023-10/zhwi000026.shtml

Eingereicht: 2. November 2021
Angenommen: 8. April 2022
Veröffentlicht: 18. Dezember 2023

© 2023 Hertle et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Zur Sicherstellung der Hebammenversorgung während der Corona-Pandemie wurden im März 2020 in Deutschland erstmals digitale Hebammenleistungen ermöglicht.

Ziel: Ziel der Befragungsstudie war eine erste Evaluation der neu eingeführten digitalen Angebote aus Sicht der Hebammen und der Nutzerinnen.

Methode: Im Februar und März 2021 wurde eine Querschnittstudie mit Online-Befragung von Hebammen und Nutzerinnen durchgeführt, die Angebot, Inanspruchnahme, Zufriedenheit und Potentiale der digitalen Hebammenbetreuung in Schwangerschaft und Wochenbett erfasste.

Ergebnis: 1.821 Mütter und 1.551 Hebammen gaben Rückmeldung. Rund ein Drittel der antwortenden Frauen hatten in Schwangerschaft und/oder Wochenbett digitale Hebammenleistungen in Anspruch genommen und diese Leistungen zu über 80% positiv bewertet. Die Hälfte der befragten Hebammen bot digitale Leistungen an und wünschte sich eine Fortsetzung dieser Betreuungsmöglichkeit. Es wurden aber nicht alle Angebote als gleich gut geeignet für die digitale Umsetzung angesehen. Aus Sicht der Befragten eignen sich Kurse und Beratung sehr gut, wohingegen die Wochenbettbetreuung oft die Präsenz der Hebamme erfordere. Mütter und Hebammen sahen gleichermaßen die Vorteile im Infektionsschutz sowie in der Zeit- und Wegeersparnis.

Fazit: Die Corona-Pandemie hat auch in der Hebammenversorgung einen Digitalisierungsschub bewirkt. Die digitalen Angebote wurden schnell umgesetzt und von den Frauen gut angenommen und können die Betreuung in Präsenz sinnvoll ergänzen. Chancen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der digitalen Hebammenbetreuung sollten nun genutzt werden.

Schlüsselwörter: Hebammen, digitale Versorgung, Digitalisierung, Telemedizin, Evaluation


Hintergrund

Die gesetzlichen Hebammenleistungen in Schwangerschaft und Wochenbett sind im Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe nach §134a SGB V festgelegt [11]. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde zusätzlich eine Corona-Sondervereinbarung getroffen, die erstmals digitale Leistungen ermöglichte: Ab März 2020 durften freiberuflich tätige Hebammen in Deutschland Vorgespräche und Hilfe bei Beschwerden in der Schwangerschaft, Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurse sowie die Wochenbettbetreuung auch digital erbringen und abrechnen [10]. Noch 2019 konnten sich in einer Hebammenbefragung zur Situation der Hebammenhilfe in Hessen 54% der befragten Hebammen in keinem Fall vorstellen, Frauen auch telemedizinisch zu versorgen. Nur 9% konnten sich dieses Leistungsangebot auf alle Fälle vorstellen [1].

Im Gegensatz zu Deutschland wurden in anderen Ländern bereits vor der Pandemie digitale Hebammenleistungen angeboten und die Erfahrungen damit beschrieben [6], [7], [9]. Die Publikationen zur Telemedizin speziell im geburtshilflichen Kontext zeigen, dass die digitale Hebammenbetreuung sowohl von den befragten Frauen als auch von Hebammen und Ärzt*innen vornehmlich positiv bewertet wurde. Allerdings ist das Modell der aufsuchenden Wochenbettbetreuung, wie es in Deutschland angeboten wird, weltweit einzigartig. Daher ist es nur schwer möglich, Studien aus dem internationalen Kontext zu identifizieren und heranzuziehen, um die aufsuchende Wochenbettbetreuung mit der Wochenbettbetreuung via Videotelefonie zu vergleichen, denn Aussagen zur digitalen Wochenbettbetreuung aus dem Ausland sind nicht auf Deutschland übertragbar.

Die beschriebene Skepsis der Hebammen gegenüber digitalen Angeboten, deren rasche Einführung und die eingeschränkte Übertragbarkeit von Studien aus dem Ausland sowie die absehbare Verstetigung der digitalen Hebammenleistungen, die im Juni 2021 durch das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) [3] dann auch erfolgte, waren der Anlass, frühzeitig eine Evaluation der Umsetzung in Deutschland anzustreben. Im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Deutschen Hebammenverband, der Hochschule für Gesundheit Bochum und dem BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung wurde deshalb eine Versicherten- und Hebammenbefragung durchgeführt, deren Ergebnisse hier vorgestellt werden [2]. Ziel der Befragungsstudie war es, Informationen zur Bereitstellung der digitalen Angebote durch die Hebammen zu erhalten und das Inanspruchnahmeverhalten sowie die Bewertung der Angebote durch die Nutzerinnen in Erfahrung zu bringen. Aus den Aussagen zur Zufriedenheit sowie den Einschätzungen zu Chancen und Herausforderungen sollten sich Anhaltspunkte für die Weiterentwicklung der Angebote ableiten lassen. Eine Besonderheit der Studie besteht in der zeitgleich erhobenen zweifachen Perspektive, zum einen der Hebammen und zum anderen der Mütter.


Methode

Für eine erste Literatursichtung zum Thema digitale Hebammenleistungen wurde eine orientierende Literaturrecherche in Embase durchgeführt unter der Verwendung der Suchblöcke „Telemedicine“ (63.722 Treffer) und „obstetrics or midwifery or midwife“ (174.360 Treffer). In der Kombination der beiden Suchblöcke und unter Ausschluss der Dubletten blieben 239 Studien übrig. Im Abstract-Screening fanden sich jedoch nur wenige passende Studien, die für die theoretische Einordnung in der Einleitung und zur Diskussion der Ergebnisse genutzt wurden.

Für die Erhebung der Perspektive der Leistungserbringerinnen (Hebammen) und der Nutzerinnen (Mütter) im Rahmen der vorgelegten Querschnittsstudie wurden zwei auf die Zielgruppen zugeschnittene Fragebögen entwickelt. Die Konzeption der Fragebögen erfolgte unter Einbezug von Expert*innen aus den Bereichen Fragebogenentwicklung, Versorgungsforschung, Hebammen- und Gesundheitswissenschaften sowie aus der Berufsperspektive der Hebammen und der Mütterperspektive. Da auf validierte Instrumente nicht zurückgegriffen werden konnte, wurden die relevanten Befragungsinhalte bei den Expert*innen erhoben und für die Befragung strukturiert. Auf die Entwicklung eines umfassend validierten Instruments wurde verzichtet, da ein regelmäßiger Einsatz der Fragebögen nicht vorgesehen ist. Sowohl Mitglieder des BARMER Instituts für Gesundheitssystemforschung und des Teams ambulante Versorgung als auch Mitglieder des Deutschen Hebammenverbandes haben im Entstehungsprozess der beiden Fragebögen regelmäßig internes Feedback zu den Entwürfen gegeben und beide Fragebögen wurden einem Pretest auf Verständlichkeit und Vollständigkeit unterzogen. Die kognitiven Pretests fanden im Februar 2021 statt und erfolgten schriftlich. Der Versichertenfragebogen wurde von Vertreter*innen von Mother Hood e.V. getestet und der Pretest des Hebammenfragebogens wurde von freiberuflichen Hebammen durchgeführt. Es wurden anschließend geringfügige Anpassungen in beiden Fragebögen vorgenommen.

Der Hebammenfragebogen umfasst Fragenblöcke zur Person und allgemeine Angaben zur Berufstätigkeit, zu den Leistungsangeboten digital und in Präsenz, zur Einstellung zur Technik/technischen Ausstattung sowie zu Chancen und Herausforderungen digitaler Leistungen einschließlich der Zukunftsperspektiven der digitalen Leistungserbringung nach der Corona-Pandemie. Der Versichertenfragebogen umfasst Fragenblöcke zur Person und zum Verlauf von Schwangerschaft und Geburt, zur Inanspruchnahme der Hebammenbetreuung digital und in Präsenz, zur Einstellung zur Technik und technischen Ausstattung sowie zur Bewertung der digitalen Hebammenbetreuung inklusive deren Chancen, Herausforderungen und Zukunftsperspektiven.

Die Zufallsstichprobe der befragten Frauen wurde aus BARMER-versicherten Frauen gezogen, die zwischen Mai und November 2020 geboren hatten. Einschlusskriterien waren Volljährigkeit, Lebendgeburt und Wohnsitz in Deutschland. Die BARMER hat knapp 9 Millionen Versicherte und übernimmt die Kosten für über 60.000 Geburten im Jahr. Der Pool, aus dem die angeschriebenen Frauen gezogen wurden, reduzierte sich durch die Geburtsmonate und dadurch, dass Frauen, die an einer anderen Befragung zum Thema Schwangerschaft teilnahmen, nicht ein zweites Mal angeschrieben wurden. Letztendlich blieben 18.784 Frauen, die von der BARMER um Teilnahme an der Online-Befragung per QR-Code gebeten wurden. Die Befragung erfolgte zeitgleich zu Schwangerschaft und Wochenbett. Die jeweiligen Frageblöcke wurden durch vorgeschaltete Filterfragen angesteuert. Der Hebammenbefragung lag eine zweckgebundene Stichprobe zugrunde, die durch Ansprache der Hebammen über den Deutschen Hebammenverband in Form eines Beteiligungsaufrufs in der Verbandszeitschrift, im elektronischen Newsletter und den Sozialen Medien gewonnen wurde. Einschlusskriterien waren Volljährigkeit, Wohnsitz in Deutschland, das Vorliegen einer Berufszulassung und eine mindestens einmonatige freiberufliche Tätigkeit im Jahr 2020. Die schriftliche Online-Befragung fand für beide Befragungsgruppen parallel vom 17.02. bis zum 15.03.2021 statt, die Teilnahme erfolgte anonymisiert und auf Grundlage einer Einwilligung der Teilnehmenden. Zur Datenerhebung wurde die Plattform Unipark Questback EFS Fall 2020 Releases verwendet, die Datenauswertung erfolgte durch die Hochschule für Gesundheit Bochum mit dem Programm IBM SPSS Statistics 27.


Ergebnisse

Zusammensetzung der Stichproben

Erhobene persönliche Merkmale der Versicherten waren Alter, Anzahl der eigenen Kinder, höchster Bildungsabschluss, Einwohnerzahl des Wohnortes, Bundesland, Migrationshintergrund, Muttersprache sowie deren selbst eingeschätzte digitale Kompetenz bzw. Technikfähigkeiten. Durch die Abfrage von Bundesland und Größe des Wohnortes sollten mögliche regionale Unterschiede und Unterschiede zwischen urbanen und ländlichen Regionen erfasst werden.

1.821 vollständig ausgefüllte Fragebögen gingen in die Auswertung des Versichertenfragebogens ein. Diese Stichprobe setzte sich vor allem aus Müttern zwischen 30 und 39 Jahren zusammen (n=1.348, 74,0%). Der Anteil der 30 bis 39-jährigen Mütter ist somit unter den Antwortenden im Vergleich sowohl zu den Müttern in der Allgemeinbevölkerung (Destatis: 55,3%) als auch zu allen BARMER-versicherten Müttern (59,1%) desselben Zeitraums deutlich höher. Mehr als die Hälfte der Frauen (n=983, 54,9%) waren Erstgebärende. Ebenfalls mehr als die Hälfte der Frauen hat das Abitur oder eine fachgebundene Hochschulreife erworben (n=1.015, 55,7%). Frauen aus Nordrhein-Westfalen (n=375, 20,6%) und Bayern (n=300, 16,5%) waren am stärksten vertreten. Insgesamt haben 100 Frauen mit Migrationshintergrund an der Befragung teilgenommen (5,5%). 76,8% der Frauen (n=1.398) gaben an, der Umgang mit dem Computer, Laptop, Tablet etc. falle ihnen sehr leicht (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Von den Hebammen lagen 1.551 vollständig ausgefüllte Fragenbögen vor. Die teilnehmenden Hebammen verteilten sich in etwa gleich auf die Altersgruppen 30-39 (n=394, 25,4%), 40-49 (n=450, 29,0%) und 50-59 Jahre (n=429, 27,6%). 150 Hebammen unter 30 Jahren nahmen teil (9,7%), 127 waren 60 Jahre oder älter (8,2%). 92,5% der Hebammen (n=1.434) haben eine Ausbildung zur Hebamme gemacht, 3,7% haben primärqualifizierend (n=57) und 3,9% haben zusätzlich zur Hebammenausbildung (n=60) studiert. Nordrhein-Westfalen (n=420, 27,1%) und Baden-Württemberg (n=291, 18,8%) waren die am stärksten vertretenen Bundesländer, wenig vertreten waren Mecklenburg-Vorpommern (n=7) und Bremen (n=3). 95,6% der Hebammen (n=1.483) sind in Deutschland geboren und für 1.504 Hebammen (97,0%) ist Deutsch die Muttersprache. 68 der teilnehmenden Hebammen haben einen Migrationshintergrund. 1.044 Hebammen (67,3%) gaben an, der Umgang mit dem Computer, Laptop, Tablet etc. falle ihnen leicht oder eher leicht (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Welche Angebote haben die Hebammen bereitgestellt?

Zwei Drittel (67,1%) der Hebammen gaben an, dass sie sich 2020 Equipment für die digitale Versorgung neu anschaffen mussten, darunter vor allem Computer/Laptops (n=456), Webcams (n=276), Mikrofone/ Headsets (n=455) und Programme zur Videotelefonie (n=797). Bei 48,6% der Hebammen (n=753) kam es im Kalenderjahr 2020 zu einer Veränderung des Leistungsangebots. Die Mehrzahl (59,4%) der Befragten gab an, dass dies aufgrund der Corona-Pandemie der Fall war. Dennoch hat auch während der Pandemie die überwiegende Zahl der Hebammen ihre Präsenzangebote aufrechterhalten. Dies betraf insbesondere die Angebote im Einzelkontakt. Das Kursangebot in Präsenz wurde reduziert. 146 Hebammen (9,4%) gaben an, keine Geburtsvorbereitungskurse mehr in Präsenz anzubieten, auch privat zu bezahlende Hebammenleistungen haben 133 Hebammen (8,6%) eingestellt.

Tabelle 3 [Tab. 3] zeigt das Angebot der gesetzlichen Leistungen in Präsenz und digital – via Messengerdienst und live-Videotelefonie – für die Schwangerschaft und im Wochenbett.

Welche Angebote haben die Frauen in Anspruch genommen?

Von den teilnehmenden Frauen, die Hebammenleistungen in der Schwangerschaft in Anspruch genommen haben (n=1.551), gaben 37,3 % (n=579) an, (auch) digitale Hebammenleistungen erhalten zu haben. Im Wochenbett waren dies 28,8% (n=495) von 1.717 Frauen. Diese beiden Gruppen überschneiden sich zum Teil, da zu Schwangerschaft und Wochenbett dieselben Frauen zeitgleich befragt wurden.

Abbildung 1 [Abb. 1] gibt einen Überblick über die jeweilige Grundgesamtheit der befragten Frauen.

In Tabelle 4 [Tab. 4] wird erkennbar, dass nicht alle Leistungen gleichermaßen digital in Anspruch genommen wurden. Insbesondere das Vorgespräch wurde von den meisten Frauen in Präsenz wahrgenommen und auch die Wochenbettbetreuung fand überwiegend in Präsenz statt. Dagegen griff etwa die Hälfte der Frauen, wenn sie Hilfe bei Beschwerden benötigte, (auch) auf die digitale Variante zurück. Die Teilnahme an Kursen war in etwa gleich verteilt auf digitale und Präsenzangebote, wobei nach der Geburt die Teilnahme an digitalen Rückbildungskursen überwog.

Es wurde auch die Inanspruchnahme von privaten Hebammenleistungen, wie Schwangeren-Yoga, Hypnobirthing, Homöopathie, Bachblüten- und Aromatherapie sowie von Einzelkursen in Säuglingspflege, Trageberatung, Beikosteinführungskurse und Babymassage erfragt. Diese wurden im hier abgebildeten Pandemie-Zeitraum je nach Angebot etwa von jeder vierten bis fünften Frau in Präsenz, jedoch nur von sehr wenigen Frauen digital in Anspruch genommen.

Wie haben die Frauen die digitalen Angebote bewertet?

Von den Frauen, die digitale Hebammenleistungen in der Schwangerschaft in Anspruch genommen haben (n=579), war die überwiegende Mehrheit sehr zufrieden: 74,1% (n=429) bewerteten die Betreuung als „sehr gut“ und 18,8% (n=109) als „gut“. Im Wochenbett vergaben 75,4% der Mütter (n=373 von 495 Frauen) die Note „sehr gut“ und 15,6% (n=77) die Note „gut“ (siehe Tabelle 5 [Tab. 5]). Die durchschnittliche Bewertung lag sowohl für die digitale Schwangerenbetreuung als auch die digitale Wochenbettbetreuung bei der Note 1,4. Die digitalen Angebote schnitten damit besser ab als die Betreuung in Präsenz. Von den 972 in der Schwangerschaft ausschließlich in Präsenz betreuten Frauen, vergaben 59,6% (n=579) die Note „sehr gut“ und 24,2% (n=235) die Note „gut“ und von den 1.222 im Wochenbett ausschließlich in Präsenz betreuten Frauen bewerteten 65,5% der Mütter (n=800) die Betreuung mit „sehr gut“ und 20,5% (n=250) mit „gut“. Im Durchschnitt vergaben die Frauen als Gesamtbewertung der Präsenzbetreuung in der Schwangerschaft die Note 1,7 und im für die Wochenbettbetreuung die Note 1,6.

Auch die Hebammen konnten ihre Meinung zur Umsetzung der Angebote äußern. Hierfür wurden – ebenso wie bei den Nutzerinnen – die Chancen und Herausforderungen der digitalen Betreuung erfragt.

Welche Chancen und Herausforderungen sehen Hebammen und Frauen hinsichtlich der digitalen Betreuung in Schwangerschaft und Wochenbett?

Eine Besonderheit der vorgelegten Studie besteht darin, dass sowohl die Mütter als auch die Hebammen zu den Chancen und Herausforderungen der digitalen Betreuung zeitgleich befragt wurden.

Aus Tabelle 6 [Tab. 6] wird deutlich, dass Frauen und Hebammen in einigen Punkten eine unterschiedliche Einschätzung hatten.

Darüber hinaus sahen die Hebammen Vorteile hinsichtlich der Flexibilität ihres Arbeitens, aber auch Herausforderungen beim Datenschutz und bei der Abrechnung. Als Nachteil gaben sie an, keine körperliche Untersuchung durchführen zu können.

Die überwiegende Mehrheit der Frauen (84,4%) sah keine Herausforderungen bei der digitalen Hebammenbetreuung; die Frauen empfanden aber Einschränkungen bei der Interaktion sowie dem Kennenlernen und Vernetzen untereinander.

Wie soll es nach der Pandemie weitergehen?

Die Möglichkeit digitale Hebammenleistungen auch nach der Covid-19Pandemie anzubieten, befürworteten für die Versorgung in der Schwangerschaft 62,7% der Hebammen (n=972) und für die Wochenbettversorgung 50,4% (n=781). Dementsprechend sahen mehr als die Hälfte der Hebammen digitale Angebote in der Schwangerschaft (64,5%, n=1.000) und im Wochenbett (53,4%, n=828) als sinnvolle Ergänzung zur Betreuung in Präsenz. Dabei korrelierte die Technikaffinität signifikant positiv mit dem Wunsch, die digitalen Angebote fortzusetzen und mit der Präsenzbetreuung optimal zu verknüpfen. Jedoch stimmten auch über 85% der Hebammen sowohl in Bezug auf die Betreuung in der Schwangerschaft (85,2%, n=1.322) als auch im Wochenbett (87,4%, n=1.356) der Aussage zu, dass ein Ausbau der digitalen Betreuung sich nicht zu Lasten des Umfangs der aufsuchenden Betreuung auswirken dürfe.

Auch die Frauen äußerten sich entsprechend (Tabelle 7 [Tab. 7]). Die übergeordnet für Schwangerschaft und Wochenbett gestellte Frage zum zukünftigen Angebot der digitalen Leistungen beantworteten 250 Frauen (34,2%) mit „die Angebote waren genau richtig“ und 132 Frauen (18,1%) mit „die Angebote sollten weiter ausgebaut werden“. Demgegenüber gaben nur 125 Frauen (17,1%) an, sie hätten keine digitalen Angebote benötigt.

Diejenigen Frauen, die sich einen Ausbau der digitalen Angebote gewünscht hatten, sahen diesen Bedarf in allen Bereichen, also sowohl bei den Kursangeboten als auch bei individuellen Beratungsangeboten und privaten Leistungen. Die Frauen wurden auch nach ihren Wünschen für zukünftige Kurse in Schwangerschaft und Wochenbett gefragt. Der wichtigste Wunsch, den fast die Hälfte der Frauen (46,4%) angab, war die Möglichkeit, sich besser mit den anderen Kursteilnehmerinnen vernetzen zu können, gefolgt von 24,8%, die sich mehr Interaktivität im Kurs wünschten. Während 17,1 % Verbesserungsbedarf in der technischen Umsetzung durch die Anbieterinnen sahen, war für 37,0 % alles perfekt. Die Frauen sehen die digitale Betreuung als gutes Angebot und als sinnvolle Ergänzung an, möchten aber weiterhin auch direkten Kontakt zur Hebamme, insbesondere im Wochenbett.


Diskussion

Eine Limitation der Studie besteht in der fehlenden Repräsentativität der Stichproben, die in den Besonderheiten der BARMER-versicherten Frauen begründet ist. Die BARMER-versicherten Schwangeren waren bei der Geburt etwas älter im Vergleich zu den Frauen in der Allgemeinbevölkerung, die im selben Zeitraum geboren haben und bei den Antwortenden waren die über 30-jährigen Frauen mit einem nochmals deutlich höheren Anteil vertreten (74% vs. 55,3% nach Destatis). Das Ergebnis kann weiterhin dadurch verzerrt sein, dass die Antworten derjenigen Frauen, die nicht an der Befragung teilgenommen haben, anders ausgefallen wären („non-response bias“). Der Rücklauf von knapp unter 10% bei der Versichertenbefragung war eher gering. Dies ist möglicherweise auf die Verwendung des QR-Codes zurückzuführen. Zudem war es nicht möglich, die Aufforderung zur Teilnahme per E-Mail oder elektronischem Newsletter zu verschicken. Mütterbefragungen von BARMER-Versicherten, die mittels Papierfragebögen durchgeführt wurden, erzielten einen deutlich höheren Rücklauf. Es ist anzunehmen, dass eher Frauen erreicht wurden, die gerne mit digitaler Technik umgehen. Dies wäre auch eine Erklärung dafür, dass digitale Angebote von den Frauen teilweise sogar etwas besser bewertet wurden als die Angebote in Präsenz.

Zur Stichprobe und zum Rücklauf bei den Hebammen sind keine Aussagen möglich, da nicht genau bekannt ist, wie viele Hebammen in Deutschland aktiv tätig sind und weil die Hebammen nicht gezielt angeschrieben wurden.

Insgesamt zeigen diese ersten Evaluationsergebnisse, dass das Angebot digitaler Hebammenleistungen unter den Pandemiebedingungen schnell etabliert und von den Frauen gut angenommen wurde. Die schnelle Etablierung steht dabei in einem gewissen Gegensatz zur Skepsis der Hebammen gegenüber digitalen Leistungen, wie sie noch 2019 in einer Hebammenbefragung zur Situation der Hebammenhilfe in Hessen festgestellt wurde. Damals hatten noch 54% der befragten Hebammen angegeben, dass sie sich in keinem Fall vorstellen können, Frauen auch per Telemedizin zu versorgen und nur 9% konnten sich dieses Leistungsangebot auf alle Fälle vorstellen [1]. Mit der Einschränkung, dass damals nicht dieselben Hebammen und nur Hebammen in Hessen befragt wurden, lässt die hier vorgelegte Studie dennoch vermuten, dass sich die Einstellung der Hebammen zur digitalen Versorgung im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie verändert hat: Diejenigen Hebammen, die digitale Angebote tatsächlich umgesetzt haben, äußerten sich in der hier vorgelegten Studie ganz überwiegend positiv. Dabei korrelierte eine selbst als „gut“ eingeschätzte digitale Kompetenz bzw. Technikfähigkeit signifikant positiv mit dem Wunsch, die digitalen Angebote fortzusetzen und mit der Präsenzbetreuung möglichst gut zu verknüpfen. Probleme, die digitalen Tools zu bedienen hatten die Nutzerinnen kaum; allerdings gaben knapp 29% der Hebammen an, Schwierigkeiten gehabt zu haben – dies vermutlich auch aufgrund der höheren Komplexität der technischen Umsetzung auf Seiten der Anbieterinnen. Die Hebammen wurden nicht in gleicher Weise um eine Bewertung der digitalen Angebote gebeten wie die Frauen. Ein Vergleich ist nicht möglich, da ein etwas anderer Fokus gesetzt wurde. Für die Frauen stand die Zufriedenheit mit der Versorgung im Vordergrund, wohingegen die Hebammen mehr zum Gelingen und den Hürden der Umsetzung befragt wurden.

Ein Blick auf die Erfahrungen mit digitalen Hebammenleistungen im Ausland zeigt, dass dort die digitale Hebammenversorgung zum Teil schon früher und auch noch breiter eingesetzt wurde als in Deutschland. In Schweden wurde bereits 2009 eine Studie zur postpartalen Betreuung von Frauen, die nach weniger als 72 Stunden das Krankenhaus verlassen hatten, durchgeführt. Die Eltern waren mit dem Angebot sehr zufrieden [6] und die Resonanz der Hebammen war ebenfalls positiv [7]. In den USA und in Japan wurden Frauen mit Geräten (wie z.B. Waagen, Blutdruckmessgeräten, Doppler oder Cardiotokographen) ausgestattet, um auch die Schwangerenvorsorge telemedizinisch durchführen zu können. Insbesondere Mehrgebärende fühlten sich von dem Angebot, jede dritte Vorsorge via Telemedizin durchführen zu lassen, angesprochen [9]. Auch eine japanische Studie kam zu dem Schluss, dass mit Hilfe der Telemedizin eine sichere und gute Schwangerenvorsorge möglich ist [8], [9].

Eine weltweite Befragung zu digitaler Versorgung rund um die Geburt unter Corona-Bedingungen zeigt die weite Verbreitung dieses Ansatzes: 58% der Antwortenden nutzten Telemedizin mit dem Ziel, die Betreuung trotz notwendiger Infektionsschutzmaßnahmen fortzusetzen. Als Hauptherausforderungen wurden Probleme bei der technischen Umsetzung, fehlender Support, z.B. durch Fortbildungen und Guidelines, sowie die Verschärfung von bereits bestehender Ungleichheit im Zugang genannt. Ebenfalls genannt wurde schlechterer Vertrauensaufbau und fehlende non-verbale Kommunikation in der therapeutischen Beziehung [4]. Die letztgenannten Aspekte haben sich in der hier vorgelegten Untersuchung nur als Sorge der Hebammen, nicht aber als problematisch von Seiten der Frauen erwiesen. Trotz aller Einschränkungen wurde auch in dieser weltweiten Untersuchung die Telemedizin als wichtige Alternative zur persönlichen Betreuung angesehen [4]. Auch in der Schweiz gab es während des Lockdowns digitale Hebammenleistungen. Dort äußerten sich knapp 40% der Hebammen positiv zur digitalen Betreuung, allerdings bewerteten auch knapp 58% die digitale Betreuung negativ oder überwiegend negativ. Insbesondere die schlechtere Einschätzungsmöglichkeit komplexer Situationen, die fehlende Durchführbarkeit von Untersuchungen und Therapien sowie die Benachteiligung von Klientinnen mit psychischen Problemen, Sprachbarrieren oder wenig technischem Knowhow wurde als problematisch angesehen. Außerdem wurden auch hier fehlende diesbezügliche Fortbildungsmöglichkeiten beklagt [5].

In Deutschland wurden mit dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) die digitalen Hebammenleistungen erstmalig geregelt und damit auch verstetigt. Digitale Hebammenleistungen sind nun nicht mehr Teil eines Corona-Notfallplans, sondern die dauerhafte Leistungserbringung mittels digitaler Medien ist Teil der Regelversorgung geworden. Eine qualitativ hochwertige technische und inhaltliche Umsetzung durch entsprechende Unterstützungs- bzw. Schulungsangebote sowie durch die Entwicklung von Qualitätsstandards sollte daher sichergestellt werden. Die vorliegende Studie zeigt auch, dass es wichtig ist, die richtigen Angebote für die digitale Umsetzung auszuwählen und die digitale Versorgung optimal mit der Versorgung in Präsenz zu verbinden, denn nicht alle Hebammenleistungen wurden als gleichermaßen geeignet für die digitale Umsetzung angesehen.


Anmerkungen

Interessenkonflikte

Die Autoren und Autorinnen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Bauer NH, Blum K, Löffert S, Luksch K. Gutachten zur Situation der Hebammenhilfe in Hessen: Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) und der Hochschule für Gesundheit (hsg) Bochum, StB Hebammenwissenschaft für das Hessische Ministerium für Soziales und Integration (HMSI). 2019 [Access Oct 2021]. Available from: https://www.hs-gesundheit.de/forschung/aktuelle-projekte/hebammenhilfe-hessen Externer Link
2.
Bauer NH, Schlömann L. Digitale Hebammenbetreuung im Kontext der Covid-19-Pandemie. Ein Kooperationsprojekt zwischen der BARMER, dem Deutschen Hebammenverband e.V. und der Hochschule für Gesundheit Bochum: Abschlussbericht vom 31.8.2021. 2021 [Access Oct 2021]. Available from: https://www.hs-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/Forschung/Abschlussbericht_Digiheb_31.08.2021.pdf Externer Link
3.
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4.
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5.
Klamroth-Marganska V, Gemperle M, Ballmer T, Grylka-Baeschlin S, Pehlke-Milde J, Gantschnig BE. Does therapy always need touch? A cross-sectional study among Switzerland-based occupational therapists and midwives regarding their experience with health care at a distance during the COVID-19 pandemic in spring 2020. BMC Health Serv Res. 2021;21(1):578. DOI: 10.1186/s12913-021-06527-9 Externer Link
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7.
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