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57. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

28. - 30.09.2023, Berlin

Veränderung des HbA1c während der COVID-19-Pandemie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und Zusammenhang mit Soziodemographie, Gesundheitszustand und medikamentöser Therapie: erste Ergebnisse aus der CoDiaM-Kohortenstudie

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Ingmar Schäfer - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland
  • Daniel Tajdar - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland
  • Dagmar Lühmann - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland
  • Martin Scherer - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 57. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Berlin, 28.-30.09.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocV-01-03

doi: 10.3205/23degam003, urn:nbn:de:0183-23degam0036

Veröffentlicht: 27. September 2023

© 2023 Schäfer et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In Deutschland wurden zwischen 22. März und 6. Mai 2020 und zwischen 13. Dezember 2020 und 30. Juni 2021 in sog. „Lockdowns“ Kontaktbeschränkungen und weitere Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie angeordnet. Mit diesen Maßnahmen waren vermutlich eine Verminderung der körperlichen Aktivität und eine Verringerung der Anzahl von ärztlichen Kontrollterminen, z.B. im Rahmen von Disease-Management-Programmen, verbunden. Daher könnten die Lockdowns bei Menschen mit Typ-2-Diabetes zu einer Verschlechterung der glykämischen Kontrolle geführt haben.

Fragestellung: Hat sich während der Lockdowns der HbA1c-Spiegel erhöht? Gibt es einen Zusammenhang mit Soziodemographie, Gesundheitszustand und Medikation?

Methoden: Retrospektive Kohortenstudie. Alle volljährigen Patienten mit diagnostiziertem Diabetes aus drei Praxen wurden eingeladen, an der Studie teilzunehmen. Patienten mit Typ-1- oder pankreoprivem Diabetes wurden ausgeschlossen. Aus Patientenakten wurden zwischen 1. Januar 2019 und 31. Dezember 2021 erfasste HbA1c-Laborwerte, verordnete Medikamente und diagnostizierte Erkrankungen extrahiert. Zusätzlich erfolgte eine postalische Befragung, mit der soziodemographische Daten erfasst wurden. Die Datenanalyse erfolgte mittels multivariater linearer Regression in gemischten Mehrebenenmodellen, adjustiert für Zufallseffekte auf Ebene der Praxen und Patienten.

Ergebnisse: 7.987 HbA1c-Messungen bei 1.089 Patienten (21,5% Rücklaufquote) konnten ausgewertet werden. Patienten waren im Median 68 Jahre alt (Interquartilsabstand 60/76) und zu 57,2% männlichen Geschlechts. Die HbA1c-Werte lagen vor der Pandemie im Median bei 6,9 (6,3/7,7) Prozent und stiegen im Verlauf der Pandemie um bis zu +0,5 (-0,3/+1,0) Prozentpunkte an. Verschlechterung des HbA1c war assoziiert mit männlichem Geschlecht (ß=-0,08, 95%-Konfidenzintervall -0,14/-0,01, p=0,019), nicht-deutscher Muttersprache (0,12, 0,01/0,23, p=0,041), dem Familienstand „verwitwet“ (0,19, 0,05/0,32, p=0,008), Endorganschäden (0,12, 0,01/0,23,p=0,039), atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen (0,23, 0,10/0,36, p=0,001) und kardiovaskulären Ereignissen (0,25, 0,10/0,40, p=0,001) vor der Pandemie sowie mit oraler Therapie (0,09, 0,03/0,15, p=0,002), Therapie mit Langzeitinsulin (0,24, 0,16/0,32, p<0,001) und Therapie mit schnellwirksamem Insulin (0,30, 0,23/0,36, p<0,001).

Diskussion: In unserer Studie gingen Lockdowns mit Verschlechterung der glykämischen Kontrolle einher. Patienten mit höherem Risiko für Komplikationen waren im besonderen Maße betroffen.

Take Home Message für die Praxis: Pandemieeindämmungsmaßnahmen dienen dem Schutz vulnerabler Patientengruppen, gefährden aber gleichzeitig andere Schutzbedürftige. Lockdowns sollten daher auf vorsichtige Abwägungen gründen.