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Ein inkomplettes Kiloh-Nevin-Syndrom als Differentialdiagnose zur isolierten traumatischen Ruptur der tiefen Zeigefinger – oder der langen Daumenbeugesehen, zwei Fallbeispiele
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Veröffentlicht: | 13. Oktober 2023 |
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Fragestellung: Das Kiloh-Nevin-Syndrom (KNS) beschreibt eine seltene Läsion des N. interosseus ant. (NIA) bzw. eines Faszikels am Hauptrumpfes des N. medinaus. Ursächlich sind eine Kompression, Neuritis, Torsion oder Verletzung des Nervens. Klinisch zeigt sich, wie in der Literatur meist beschrieben, eine aufgehobene Beugung von Daumen- und Zeigefingerendglied.
Im letzten Jahr wurden in unserer Klinik 2 Pat. unter der Annahme einer traumatischen Ruptur isoliert der Zeigefinger- bzw. Daumenbeugesehnen operiert, die Ursache des Funktionsverlustes war jedoch ein inkomplettes KNS mit Beugeverlust nur eines Fingers.
Methodik: Fall 1: Fraktur der Clavicula, nach operativer Frakturversorgung, zudem Verlust der Beugefähigkeit des Zeigefingerendglieds. Klinisch bestand das Bild einer isolierten FDP-Sehnen-Ruptur. MRT bei Artefakten nicht verwertbar. Bei V.a. eine FDP-Ruptur erfolgte die operative Revision, hier zeigte sich die Sehne intakt.
In der postoperativen neurologischen Abklärung der Funktionsstörung fand sich elektrophysiologisch und neurosonografisch als Ursache ein inkomplettes KNS i.S. einer isolierten faszikulären Neuritis des N. medianus 2 cm prox. der Ellenbeuge mit partieller Schädigung der NIA-Fasern, eine konservative Therapie wurde indiziert.
Fall 2: In der Anamnese intensives Fitness-Training, hiernach Schmerzen im Ellenbogenbereich und Beugeverlustes des Daumenendglieds. Klinisch bestand das Bild einer isolierten FPL-Sehnen-Ruptur. MRT nicht sicher beurteilbar. Bei V.a. FPL-Ruptur erfolgte die operative Revision, hier zeigte sich die Sehne intakt. Postoperativ wurde elektrophysiologisch und neurosonografisch ein inkomplettes KNS i.S. einer isolierten Faszikeltorsion am Hauptrumpf des N. medianus 2 cm prox. des Abganges des NIA diagnostiziert, es erfolgte die operative epineurale Neurolyse und intraneurale Faszikeldekompression
Ergebnisse und Schlussfolgerung: O.g. Fälle zeigten in der Routinediagnostik eine isolierte Beugesehnenruptur.
Intraoperativ wurde die Sehnenruptur ausgeschlossen.
Postoperativ wurde die Ursache der akuten Parese durch Nervensonographie als faszikuläre Läsion des NIA bzw. Medianusrumpfes gesichert.
Nach konservativer Therapie bzw. Neurolyse bestand nach 6–14 Monaten eine fast komplette Reinnervation.
Es ist von einer Dunkelziffer unnötig erfolgter Operationen an den Beugesehnen auszugehen.
Bei akuter isolierter Beugeunfähigkeit des Daumen- oder Zeigefingerendgliedes, v.a. mit Traumaanamnese, sollte an ein inkomplettes KNS gedacht werden und eine Beugesehnen- und Nervensonographie erfolgen.