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22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

04.10. - 06.10.2023, Berlin

„Das Einzige, was immer anwesend ist, ist die Angst“ – Erfahrungen mit der Versorgung von nicht-heilbar erkrankten Patient*innen im letzten Lebensjahr aus Sicht der Nahestehenden

Meeting Abstract

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  • Jana Frey - Zentrum für Palliativmedizin, Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum, Köln, Deutschland
  • Belinda Werner - Institut für Soziologie und Sozialpsychologie, Professur für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung, Universität zu Köln, Köln, Deutschland
  • Raymond Voltz - Zentrum für Palliativmedizin, Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum, Köln, Deutschland; Zentrum für Versorgungsforschung (zvfk), Universität zu Köln, Köln, Deutschland; Zentrum für Integrierte Onkologie Aachen Bonn Köln Düsseldorf (CIO ABCD), Deutschland
  • Julia Strupp - Zentrum für Palliativmedizin, Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum, Köln, Deutschland

22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. Doc23dkvf178

doi: 10.3205/23dkvf178, urn:nbn:de:0183-23dkvf1782

Veröffentlicht: 2. Oktober 2023

© 2023 Frey et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand der Forschung: Die Unterstützung durch Nahestehende spielt bei der Betreuung von Patient*innen mit nicht heilbaren Erkrankungen eine wesentliche Rolle, um eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten. Langfristige Betreuung, besonders im letzten Lebensjahr, kann die multidimensionale Belastung der Nahestehenden erhöhen, die oft ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen.

Fragestellung und Zielsetzung, Hypothese: Wie belastet sind Nahestehende von Patienten*innen mit nicht heilbaren Erkrankungen mit und ohne Tumorerkrankung im letzten Lebensjahr und gibt es Unterschiede in den Erfahrungen?

Methode: Prospektive Querschnittsstudie mit Nahestehenden von fortgeschritten, nichtheilbar erkrankten Patient*innen mit (T) und ohne Tumorerkrankung (NT). Die Nahestehenden wurden von Patient*innen vorgeschlagen, die durch die 12 Monats Surprise Question identifiziert wurden. Erhebung von Versorgungserfahrungen mittels Zarit Burden Interview (ZBI-12) und Freitext alle drei Monate. Belastungen wurden auf einer Skala von 0-48 erfasst und in keine bis milde (0-10), moderate (11-20) und hohe (21-48) Belastung unterteilt. Deskriptive Auswertung der Feldnotizen mit Gründen der Nichtteilnahme und Beobachtungen des Studienteams.

Ergebnisse: Von 35 Vorschlägen wurden 20 eingeschlossen. Gründe für die Nichtteilnahme waren die emotionale Belastung durch die Unheilbarkeitsthematik (50%), zeitliche Ressourcen (41.7%) und das Versterben des Patienten im Verlauf der Studie (8.3%). Keine Rückmeldung erfolgte bei 25%. Die Nahestehenden schätzten ihre Belastung als gering ein. 58.3% der NT hatten moderate Baseline-Werte vs. 12.5% bei T. Nach 3 Monaten (T1) hatten 66.7% der NT hohe Werte vs. 14.3% bei T. Wiederkehrende Stressoren waren emotionale (Unsicherheit mit Palliativ- und Sterbethematik, Bedeutung für die Zukunft), kommunikative (Vorsorgeplanung, Shared-decision making, Approachability) und organisatorische Faktoren (Hilfsmittelbeschaffung, Terminkoordination, Kostenübernahme).

Diskussion: Die Daten deuten darauf hin, dass NT-Nahestehende tendenziell stärker belastet sind. Bei NT und T steigt der Belastungswert nach 3 Monaten von moderat zu hoch an, bei NT jedoch stärker. Während sich T-Nahestehende häufiger als weniger belastet einschätzen, deuten die qualitativen Daten dennoch auf Belastungszustände hin. Beim Belastungserleben sind bei T- emotionale, kommunikative und organisatorische Faktoren vordergründig, bei NT kommunikative und organisatorische Faktoren. Um ihre Nahestehenden nicht zu belasten, schlugen vor allem Tumorpatient*innen ihre Nahestehenden nicht für die Studie vor (Gatekeeping). Maßgebliche Problematik zeigt sich nach wie vor im Umgang bzw. im Vermeiden der Themen Sterben, Tod, Trauer. Die Nahestehenden zeigen Verdrängungstendenzen und Bagatellisierung der eigenen Belastung, was die insgesamt niedrigeren Werte erklären kann.

Implikation für die Versorgung: Frühzeitig transparente Gespräche mit den Nahestehenden können helfen, mögliche Belastungsfaktoren zu erkennen und nach Möglichkeiten zu suchen, diese zu reduzieren. Denkbar ist z.B. die Einbeziehung eines ambulanten Palliativteams oder eines „Buddy im letzten Lebensjahr“.

Förderung: BMBF-Strukturförderung Versorgungsforschung; #01GY1916