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22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

04.10. - 06.10.2023, Berlin

Kommt die Zweitmeinung in der Versorgung an? – Eine parallel-konvergente Mixed-Methods-Studie

Meeting Abstract

  • Susann May - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Nadja Könsgen - IFOM Universität Witten/Herdecke, Köln, Deutschland
  • Angelina Glatt - IFOM Universität Witten/Herdecke, Köln, Deutschland
  • Dunja Bruch - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Felix Muehlensiepen - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Sonja Mählmann - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Sebastian von Peter - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Dawid Pieper - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Edmund Neugebauer - Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Barbara Prediger - IFOM Universität Witten/Herdecke, Köln, Deutschland

22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. Doc23dkvf323

doi: 10.3205/23dkvf323, urn:nbn:de:0183-23dkvf3233

Veröffentlicht: 2. Oktober 2023

© 2023 May et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand der Forschung: In Deutschland wurde im Dezember 2018 die Zweitmeinungsrichtlinie (Zm-RL) für elektive Eingriffe eingeführt. Bei bestimmten Indikationen haben Patient:innen das Recht, eine Zweitmeinung (ZM) bei einem zugelassenen Zweitmeiner einzuholen. Ziel der Zm-RL ist es, medizinisch nicht notwendige Eingriffe zu vermeiden und Patient:innen in ihrem Entscheidungsprozess zu unterstützen.

Fragestellung und Zielsetzung: Derzeit ist unklar, ob und wie die Zm-RL in der täglichen Praxis umgesetzt wird und, ob die indikationsstellenden Ärzt:innen die Patient:innen über ihr Recht auf die Einholung einer ZM informieren. Darüber hinaus ist bislang nichts darüber bekannt, wie Patient:innen reagieren, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass sie das Recht haben, eine zweite Meinung einzuholen.

Methode: Es wurde eine parallel-konvergente Mixed-Methods-Studie mit Patient:innen, die die Indikationen Tonsillektomie, Tonsillotomie, Hysterektomie oder Schulterarthroskopie erhalten haben, durchgeführt. Dazu wurden in einem ersten Schritt Praxen der Fachrichtungen Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Gynäkologie und Orthopädie rekrutiert. Die Mitarbeitenden der Praxen rekrutierten wiederum die infrage kommenden Patient:innen. Die qualitativen Interviews wurden telefonisch durchgeführt, die quantitative Befragung bestand aus einem Papier Fragebogen, der kostenlos zurückgesendet werden konnte. Die qualitativen Daten wurden mittels strukturierter qualitativer Inhaltsanalyse und die Umfragedaten wurden deskriptiv ausgewertet.

Ergebnisse: Es wurden 26 Interviews mit Patient:innen geführt. Die Fragebögen wurden von 102 Patient:innen zurückgeschickt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Zm-RL in Deutschland für die in dieser Studie ausgewählten Indikationen nicht wie intendiert umgesetzt wird. Die Patient:innen werden unzureichend über ihr Recht auf ZM aufgeklärt, wobei häufiger über das allgemeine Recht zur ZM-Einholung als über Zm-RL Details (z.B. Weiterbehandlungsverbot) aufgeklärt wird. Gleichzeitig scheint sich die Aufklärung über das Recht auf Einholung einer ZM aus Sicht der Patient:innen positiv auf die Arzt-Patienten-Beziehung auszuwirken.

Diskussion: Die Nichtaufklärung über das Recht auf ZM könnte zum einen mit einer niedrigen Akzeptanz gegenüber der Zm-RL sowie einem Informationsdefizit begründet werden. Auch wenn sich Patient:innen keine ZM einholen, scheint es, dass die Aufklärung über das Recht auf ZM die Patient:innen in ihrem Entscheidungsprozess unterstützt, indem sie die Arzt-Patienten Beziehung stärkt. Eine Intention der Zm-RL, nämlich das Erlangen von unabhängigen Informationen durch die ZM, wird dabei nicht erfüllt. Ein Selektionsbias kann nicht ausgeschlossen werden, da die Teilnehmenden über Praxen rekrutiert wurden, die durch die Bereitschaft zur Teilnahme auf die Thematik der Zm-RL sensibilisiert waren.

Implikation für die Versorgung: Perspektivisch sollten indikationsstellende Ärzt:innen besser über den Inhalt der Zm-RL aufgeklärt werden, damit sie die entsprechenden Informationen an die Patient:innen weitergeben können. Darüber hinaus sollte gesamtgesellschaftlich über die Möglichkeit der Einholung einer ZM informiert werden.

Förderung: Innovationsfonds/Versorgungsforschung; 01VSF18014