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22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

04.10. - 06.10.2023, Berlin

Ist der ambulante Sektor ein blinder Fleck für die (Versorgungs-)Forschung? – Die proximale Humerusfraktur und deren Versorgung bei älteren Menschen

Meeting Abstract

  • Jeanette Köppe - WWU Münster, Institut für Biometrie und Klinische Forschung (IBKF), Münster
  • Josef Stolberg-Stolberg - Universitätsklinikum Münster, Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Münster
  • Karen Fischhuber - WWU Münster, Institut für Biometrie und Klinische Forschung (IBKF), Münster
  • Janette Iking - Universitätsklinikum Münster, Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Münster
  • Ursula Marschall - BARMER Institut für Gesundheits­systemforschung, Wuppertal
  • Michael J. Raschke - Universitätsklinikum Münster, Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Münster
  • Jan Christoph Katthagen - Universitätsklinikum Münster, Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Münster

22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. Doc23dkvf354

doi: 10.3205/23dkvf354, urn:nbn:de:0183-23dkvf3548

Veröffentlicht: 2. Oktober 2023

© 2023 Köppe et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand der Forschung: Da die klinische Forschung meist von hochspezialisierten Zentren durchgeführt wird, deren Patientenkollektiv und Versorgungslevel jedoch kaum die breite Versorgung wiederspiegelt, entsteht ein Selektionsbias. Dadurch kann auch bei Studien an real world data die externe Validität eingeschränkt sein. Im Falle der proximalen Humerusfraktur (PHF) gibt es derzeit kaum Informationen darüber, wie hoch der Anteil an ambulant versorgten Patient*innen ist, die niemals hospitalisiert werden und somit keinerlei Berücksichtigung in der Forschung finden.

Fragestellung und Zielsetzung, Hypothese: Wie hoch ist der Anteil an älteren Patient*innen mit PHF, deren Verletzung komplett im ambulanten Sektor versorgt wird? Wie ist der Verlauf dieser Patient*innen?

Methode: Die Studie ist im Rahmen der Forschergruppe Mathematical Surgery entstanden. Auf Basis retrospektiver Abrechnungsdaten der BARMER wurden von 2011 – 2020 alle älteren Patienten ab 65 Jahren, mit stationär oder ambulant codierter PHF (ICD S42.2) eingeschlossen. Die Patienten wurden nach Sektor der Diagnosestellung und Behandlung (OP ja/nein) eingeteilt. Endpunkte waren Inzidenz, erneute Hospitalisierungen und verschiedene Sicherheitsendpunkte wie Gesamtüberleben (OS), Verletzungs-bedingte Komplikationen und schwere unerwünschte Ereignisse (MAE).

Ergebnisse: Betrachtet man nur stationäre Fälle, wurde im Beobachtungszeitraum eine mittlere Inzidenz pro 100,000 Personenjahre von 256 für PHF bei Personen ab 65 Jahren beobachtet. Korrigiert man diese um Patient*innen, die nie hospitalisiert werden, ergibt sich eine 1,4-fach höhere tatsächliche Frakturinzidenz von 355 pro 100,000 Personenjahren. In die Studie wurden insgesamt 84,188 (Medianes Alter 78, 84% weiblich) eingeschlossen, von denen 63% konservativ behandelt wurden. Der Anteil an ambulanten Diagnosestellung lag bei 56%. Auch werden deutliche Unterschiede in der Therapie zwischen den Sektoren beobachtet: ambulant werden 84% ohne OP, stationär nur 37% ohne OP versorgt. Innerhalb der ersten 6 Monate werden 25% der konservativen Patienten aus dem ambulanten Sektor aufgrund der PHF und 30% aus anderen Gründen sekundär hospitalisiert. Zudem wurde bei diesen eine deutliche höhere Rate an Therapieversagern beobachtet: Die Rate an sekundärer operativer Frakturversorgung innerhalb der ersten 6 Monate lag bei 18,5% im Vergleich zu 3,5% bei den stationären PHFs. Nach Adjustierung auf das Patientenprofil war die konservative Therapie mit höheren Risiko für Tod und MAEs assoziiert.

Diskussion: Im Falle der PHF stellt der ambulante Bereich einen blinden Fleck dar, der vermutlich oft in der Forschung nicht berücksichtigt wird. Die Inzidenz an sich, aber auch der Anteil an konservativ behandelten PHS ist höher als bisher angenommen. Die Hälfte wird ambulant versorgt und nie aufgrund ihrer Fraktur hospitalisiert. Konservativ behandelte Patient*innen erleiden oft ungünstige Verläufe und zeigen höhere Risiken für Komplikationen im Vergleich zu den Operierten.

Implikation für die Forschung: Im ambulanten Bereich ist mitunter ein nicht zu vernachlässigbarer Teil der Patient*innen zu finden, der dringend in der Forschung mitberücksichtigt und analysiert werden muss.

Förderung: Sonstige Förderung; I-KÖ122113