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22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

04.10. - 06.10.2023, Berlin

Retrospektive Identifikation von verstorbenen Versicherten mit potenziellem palliativmedizinischen Versorgungsbedarf anhand von ICD-10-Diagnosen in GKV-Routinedaten

Meeting Abstract

  • Ekaterina Slotina - Institut für Allgemeinmedizin Jena, Jena, Deutschland
  • Bianka Ditscheid - Institut für Allgemeinmedizin Jena, Jena, Deutschland
  • Franziska Meissner - Institut für Allgemeinmedizin Jena, Jena, Deutschland
  • Ulrich Wedding - Klinik für Innere Medizin II - Palliativmedizin, Jena, Deutschland
  • Antje Freytag - Institut für Allgemeinmedizin Jena, Jena, Deutschland

22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. Doc23dkvf431

doi: 10.3205/23dkvf431, urn:nbn:de:0183-23dkvf4315

Veröffentlicht: 2. Oktober 2023

© 2023 Slotina et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand der Forschung: Grundlage der 2014 von Murtagh et al. entwickelten Klassifikation zur Identifikation von Menschen mit palliativem Versorgungsbedarf waren die britische Todesursachenstatistik sowie Diagnosen aus Krankenhausfallstatistiken. Neben ICD-10-kodierten unspezifischen Diagnosen enthält diese ICD-kapitelübergreifende Klassifikation auch nicht-schwerwiegende/nicht-tödlich verlaufende Erkrankungen, was bei einer Anwendung in GKV-Routinedatenanalysen zu einer Überschätzung des palliativmedizinischen Versorgungsbedarfs führen kann.

Fragestellung und Zielsetzung, Hypothese: Medizinische Präzisierung der Klassifikation von Murtagh et al. und vergleichende Schätzung von Bedarf und Deckung an Palliativversorgung (PV) bei verstorbenen Versicherten (VS), stratifiziert nach dokumentierten Grunderkrankungen (GE).

Methode: Die Überarbeitung der Klassifikation erfolgte auf Basis von Expertenmeinung. Berücksichtigt wurden ausschließlich lebensbedrohliche Krankheitszustände mit potenziellem palliativmedizinischen Versorgungsbedarf. Beide Klassifikationen wurden auf erwachsene VS der BARMER angewendet, die zwischen 2016 und 2019 verstarben. Für jedes Sterbejahr wurde der Anteil von VS mit eingeschlossenen (ambulanten oder stationären) Diagnosen berechnet. Außerdem wurde bestimmt, wie hoch in jeder Diagnosegruppe der Anteil von VS war, die im letzten Lebensjahr mindestens einmal ambulante oder stationäre, allgemeine oder spezialisierte PV in Anspruch nahmen.

Ergebnisse: Die selektierte Studienpopulation umfasste 416.178 VS, davon 117.117 aus dem Jahr 2019. Von diesen hatten gemäß überarbeiteter Klassifikation (vorläufige Daten) 81,1% eine relevante GE vs. 97,2% gemäß Murtagh et al. Der Anteil der VS ohne relevante GE, die dennoch PV erhielten, lag bei 2,9% vs. 0,1% gemäß Murtagh et al. Nach überarbeiteter Klassifikation betrug der Anteil der VS mit PV an allen VS mit Bedarf 40,9% vs. 37,3% nach Murtagh et al. Während nach Murtagh et al. 42,0% der VS durch Dokumentation einer onkologischen Erkrankung als VS mit PV-Bedarf identifiziert wurden (wovon 55,8% tatsächlich PV erhielten), betrug der Anteil solcher VS nach Klassifikationsüberarbeitung 25,5% (wovon 70,7% tatsächlich PV erhielten). 56,5% der VS wiesen keine onkologische, aber eine relevante nicht-onkologische Erkrankung auf (davon erhielten PV: 19,1%).

Diskussion: Die auf lebensbedrohliche Krankheitszustände fokussierte Diagnose-Klassifikation zur Schätzung palliativmedizinischen Versorgungsbedarfs ist deutlich spezifischer als die weit verbreitete Klassifikation von Murtagh et al., ohne relevante Sensitivitätsverluste zu verzeichnen. Basierend auf der spezifischeren Bedarfsschätzung für PV liegt die Bedarfsdeckung um 10% höher als bei Murtagh et al.

Implikation für die Versorgung: Für zukünftige Diagnose-orientierte Bedarfs-/-deckungs-Abschätzungen zur PV anhand von GKV-Routinedaten empfiehlt sich unsere im Vergleich zu Murtagh et al. spezifischere Klassifikation. Während der Bedarf an PV bei onkologischen Patienten insgesamt nahezu gedeckt zu sein scheint, sind die deutlich seltener versorgten nicht-onkologischen GE zukünftig noch stärker in den Blick zu nehmen.

Förderung: Innovationsfonds/Versorgungsforschung; 01VSF19026