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Die jährliche Impfung gesunder Kinder gegen Virusgrippe: ein Risikomodell zum Abwägen des kindlichen Individualrechts auf Unversehrtheit gegen den Anspruch der Erwachsenengemeinschaft auf Gesundheit
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Veröffentlicht: | 6. September 2007 |
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Die US-amerikanische Impfkommission empfiehlt seit Februar 2006 die routinemäßige Impfung aller Kinder im Alter zwischen 6 Monaten und 5 Jahren gegen Influenza. Mit Blick auf die gesellschaftlichen ökonomischen Vorteile, die in vielen Kosten-Nutzen-Analysen bekräftigt werden, soll – bildlich gesprochen – der „Übertragungssumpf trockengelegt“ werden, indem die wichtigsten Überträger, eben die Kinder aller Altersgruppen, immunisiert werden. Eine besondere Zielgruppe sind die Kleinsten (0,5 bis 2 Jahre alt), die allerdings auch häufiger unter den Komplikationen leiden, während der normale Verlauf einer Virusgrippe bei gesunden Kindern aus medizinischer Sicht im Allgemeinen als tolerabel gelten darf. Erstaunlicherweise wurden die Risiken milder oder schwerwiegender Komplikationen und Impfnebenwirkungen bisher nicht quantitativ diskutiert.
Die saisonalen Faktoren der „Aggressivität“ (engl. attack rate) der zirkulierenden Virusstämme und der Effektivität des bereitgestellten Impfstoffes werden für alle pädiatrischen Altersgruppen mit den Inzidenzen von Impf- und Grippeverlaufskomplikationen in einem Risikomodell zusammengefasst, das sowohl individuelle Bewertungen für die pädiatrische Impfaufklärung und –entscheidung als auch populationsbezogene Risikoabschätzungen für Impfprogramme ermöglicht.
Unter verschiedenen mathematisch charakterisierten Konstellationen der Eingangsparameter lassen sich nicht-pandemische und pandemische Situationen differenzieren, in denen von einer Impfung ohne individuelle medizinische Indikation abgeraten werden müsste, wenn das Individualrecht des Impflings auf körperliche Unversehrtheit über den Anspruch der Erwachsenengemeinschaft auf Gesundheit gestellt werden soll. Die Beispielrechnungen zur Illustration beruhen allerdings auf den Daten der nordamerikanischen Literatur, da europäische Daten generell fehlen, wie kürzlich von dem European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) festgestellt wurde.
Diese Sichtweise unterstützt die kritische Haltung einiger europäischer Länder zu den US-amerikanischen Impfempfehlungen, die sich eventuell zu sehr an den notwendigen logistischen Vorbereitungen auf eine Pandemie orientieren.