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68. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

17.09. - 21.09.23, Heilbronn

Die abD in der Realtität – Möglichkeiten und Grenzen

Meeting Abstract

  • Lucas Ahrens - Ecker + Ecker GmbH, Hamburg, Germany
  • Florentin Köhnemann - Ecker + Ecker GmbH, Hamburg, Germany
  • Thomas Ecker - Ecker + Ecker GmbH, Hamburg, Germany
  • Christof Ecker - Ecker + Ecker GmbH, Hamburg, Germany

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 68. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS). Heilbronn, 17.-21.09.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocAbstr. 218

doi: 10.3205/23gmds145, urn:nbn:de:0183-23gmds1456

Published: September 15, 2023

© 2023 Ahrens et al.
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Text

Einleitung: Für Arzneimittel mit bedingter Zulassung oder Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen sowie Orphan Drugs führte der Gesetzgeber im Jahr 2019 das Instrument der anwendungsbegleitenden Datenerhebung (abD) ein. Der G-BA kann damit bei Arzneimitteln mit begrenzter Evidenz zum Markteintritt die Erhebung von Real-World-Daten anordnen, um identifizierte Datenlücken zu beheben und so die Evidenzgrundlage in einer erneuten Nutzenbewertung zu verbessern [1]. Lässt sich auf Basis der Auswertung der abD kein Zusatznutzen quantifizieren, ist die Folge ein Abschlag auf den Erstattungsbetrag [2]. Bisher wurde die abD in fünf Fällen gefordert, hauptsächlich sind advanced therapy medicinal products (ATMP) betroffen.

Die methodischen Anforderungen an die abD zur Quantifizierung des Zusatznutzens bewegen sich – trotz der durch die Art der untersuchten Arzneimittel bedingten Limitationen – im Wesentlichen im Rahmen der anspruchsvollen Regularien der regulären frühen Nutzenbewertung. Ob sich die gesetzliche Forderung nach dem Schließen von Evidenzlücken durch die abD überhaupt erfüllen lässt, muss deshalb überprüft werden.

Methodik: Die bisher veröffentlichten Dokumente (Beschluss und Tragende Gründe des G-BA, Studienprotokoll des pharmazeutischen Unternehmers) der ersten vom G-BA eingeleiteten abD wurden untersucht. Anhand der vom IQWiG definierten methodischen Anforderungen [3] wurde bewertet, ob eine Quantifizierung des Zusatznutzens möglich erscheint.

Ergebnisse: Die generellen Probleme der abD sind evident: Fehlende Randomisierung, ggf. eine ungleichmäßige Rekrutierung auf die unterschiedlichen Studienarme, insgesamt ein hohes Verzerrungspotential. Darüber hinaus benötigen statistisch belastbare Ergebnisse aus der abD ausreichend große Fallzahlen. Allerdings sind diese in den untersuchten Fällen kurzfristig aufgrund der epidemiologischen Gegebenheiten der untersuchten Arzneimittel (Orphan Drugs) nicht zu erreichen. Folglich sind lange Erhebungszeiträume notwendig, die aber weitere Probleme mit sich bringen. Zum Beispiel können die bis dato gesammelten Daten durch Änderungen der zweckmäßigen Vergleichstherapie im Laufe der abD irrelevant werden. Ein Ausweg wäre die zusätzliche Nutzung von bereits vor Initiierung der abD vorliegenden Registerdaten, die wiederum nicht regelhaft den Qualitätsansprüchen des G-BA genügen. Auch die wünschenswerte Einbindung europäischer Register ist im Zusammenhang mit Länder-spezifischen Versorgungsrealitäten und einer Deutschland-zentrierten Fragestellung nicht trivial.

Diskussion: Theoretisch sind die Aussichten auf aussagekräftige Real-World-Daten, erhoben unter den kontrollierten Bedingungen der abD, vielversprechend. Sie ermöglichen die – neben der Marktzulassung bereits beantworteten Frage nach Wirksamkeit und Sicherheit – Untersuchung offener Datenlücken im Interesse von Kostenträgern, pharmazeutischen Unternehmern und Behandlern. Vor dem Hintergrund, dass eine Quantifizierung des Zusatznutzens jedoch in vielen Fällen nicht möglich sein wird, darf die abD auch nur dort angewendet werden, wo eine Erhebung sinnvoll ist und den gesetzlichen Auftrag erfüllen kann. Wenn der Gesetzgeber den Bedarf an einer späten – also einer auf Bestandsmarktarzneimittel ausgerichteten – Nutzenbewertung sieht, sollten stattdessen die dafür geeigneten Instrumente geschaffen werden.

Schlussfolgerung: Die abD ist kein Allheilmittel auf dem Weg zur Einführung einer späten Nutzenbewertung. Die Durchführung von abD ist komplex und der Erfolg der qualitativ hochwertigen Evidenzgenerierung fraglich. Daher sollte die Umsetzbarkeit vor Anordnung und Initiierung der abD grundlegend geprüft werden. Auch sollten jetzt schon die Implikationen des 2025 mit Onkologika und ATMP startenden EU-HTA berücksichtigt werden, welches europäische Registerstudien weiter in den Fokus rücken wird.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

1.
Gemeinsamer Bundesausschuss. Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses. Berlin: Gemeinsamer Bundesausschuss; 2009 [zitiert: 25. April 2023]. Verfügbar unter: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-3114/VerfO_2022-12-15_iK_2023-04-07.pdf External link
2.
Deutscher Bundestag. Drucksache 19/8753 – Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in derArzneimittelversorgung. Berlin: Deutscher Bundestag; 2019 [zitiert: 25. April 2023]. Verfügbar unter: https://dserver.bundestag.de/btd/19/087/1908753.pdf External link
3.
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Konzepte zur Generierung versorgungsnaher Daten und deren Auswertung zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V. Version 1.1. Köln: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen; 2020 [zitiert 25. April 2023]. (IQWiG-Berichte; Nr. 863). Verfügbar unter:https://www.iqwig.de/download/a19-43_versorgungsnahe-daten-zum-zwecke-der-nutzenbewertung_rapid-report_v1-1.pdf External link